Der städtebauliche Entwurf soll die bestehenden Strukturen in der Siemensstadt stärken und in die neue Planung einbeziehen. Dabei muss sich das neue Stadtquartier an der alten Siemensstadt orientieren und diese im Sinne einer Erweiterung fortführen, sodass die alten und neuen Quartiere voneinander profitieren können und auch in der alten Siemensstadt die Entwicklung von öffentlichem Leben, Kultur und Angeboten für die Anwohner angeregt wird. Ein eigenständiges Quartier, das sich durch seine städtebauliche Setzung und architektonische Haltung von seiner Umgebung abgrenzt oder isoliert, ist zu vermeiden.
Durch die Lage des Plangebietes wird der Entwurf das Bindeglied zwischen den Wohngebieten der Siemensstadt im Osten und Haselhorst im Westen werden. Diese Verbindung soll ein Kernelement der neuen städtebaulichen Setzung und der Planung der Wegenetze sein.
Um eine gute Vernetzung in die umgebenden Quartiere herzustellen, ist besonders darauf zu achten, dass die geplanten Wegeverbindungen eine gute Anbindung auch für Fußgänger und Radfahrer gewährleisten. Die verschiedenen Zuwegungen sollen entsprechend der angrenzenden Umgebung je nach Situation und Bedarf differenziert dimensioniert werden und so intuitive Verbindungen schaffen. Bestehende Barrieren wie der Bahndamm der Siemensbahn im Nordosten des Plangebietes sind mit ausreichenden Querungsmöglichkeiten (Unterführungen oder Hochbahntrasse) zu versehen, um die Vernetzung zu verbessern. Auch für die viel befahrenen Straßen an den Plangebietsrändern (Nonnendammallee, Paulsternstraße, Rohrdamm) sollen Querungsmöglichkeiten angedacht werden, sodass diese keine Hindernisse für die Vernetzung der Quartiere darstellen. Dabei ist auch über eine Entschleunigung dieser Straßen in den Bereichen der Wohngebiete nachzudenken.
Langfristige Infrastrukturentwicklung in den angrenzenden Gebieten wie die Reaktivierung der Siemensbahn und die Straßenbahnverbindung aus der Siemensstadt über Gartenfeld Richtung Wasserstadt Spandau sind bei der Planung zu berücksichtigen. Die aktuelle Verkehrserschließung der Siemensstadt, hauptsächlich über die Nonnendammallee entstammt Planungen aus den 50er Jahren, als die Stadt für das Auto optimiert wurde, und entspricht nicht mehr dem heutigen Anspruch an Aufenthaltsqualität im Stadtraum. Es sollen zeitgemäße, innovative und richtungsweisende Erschließungskonzepte erarbeitet werden, die auf die Bedürfnisse der Anwohner nach Wohnqualität eingehen und dem Erbe der Siemensstadt gerecht werden.
Auch die großen städtebaulichen Entwicklungen auf der Gartenfeldinsel nördlich des Plangebietes und dem Gelände des Flughafen Tegel sollten im Entwurf beachtet werden.
Innovation begleitet die Siemensstadt von Beginn an. Um die Arbeiter aus Berlin zu den Werken zu bringen, ließ Siemens bereits früh den S-Bahnhof am Fürstenbrunner Weg unterhalb der Spree errichten, sowie Brücken über die Spree. Eine Straßenbahntrasse durch die Siemensstadt und die Siemens-S-Bahn quer durch die Siedlung wurden angelegt und bereits um 1905 wurden Arbeiter mit firmeneigenen elektrischen Omnibussen zwischen den Werken befördert. Innovation zu schaffen, im Schatten der alten Siemensstadt, ist also eine herausfordernde Aufgabe.
Architektonisch und städtebaulich setzt die alte Siemensstadt auch einen hohen qualitativen Maßstab für den Entwurf. Die Großsiedlung Siemensstadt erstreckt sich über die Ortsteilteil-Grenze von Siemensstadt hinaus bis nach Charlottenburg-Nord und ist feingliedrig ausdifferenziert in unterschiedlich dichte Stadträume mit sehr verschiedenen und vielfältigen Gebäudetypologien aus unterschiedlichen Zeiten, die den einzelnen Orten in der Siedlung ihren Charakter verleihen.
Um 1900 entstand die sehr dichte Blockrandbebauung am heutigen Siemensdamm und der Nonnendammallee zwischen U-Bahnhof Siemensdamm und Rohrdamm. In den Erdgeschossen der Wohnblöcke befinden sich viele öffentliche Nutzungen an der Nonnendammallee und das Einkaufszentrum am Platz an der U-Bahnstation Siemensdamm bildet den Kopf eines belebten Quartierszentrums. Hier findet ein großer Teil des öffentlichen städtischen Lebens statt. Nördlich der Blockrandbebauung geht die Stadt zur Siedlung in Zeilenbauweise über, durchsetzt mit einzelnen Sonderbausteinen wie Schulen, Kirchen etc.. Auf architektonisch auffällige und charakteristische Bauten am Jungfernheideweg folgen nach Norden kleinere, großzügig durchgrünte Wohnzeilen, die im Norden durch den Wilhelm von Siemens-Park und den Jungfernheide-Park begrenzt werden. Die Bahntrasse der Siemensbahn verläuft quer durch die alte Wohnsiedlung aber ohne diese zu zerteilen. Vielmehr wird die Siemensstadt auch durch die Perspektiven von der Bahntrasse aus beeindruckend inszeniert. Nördlich des Wilhelm von Siemensparks werden die Strukturen kleinteiliger und grüner. Die kleinen Reihenhäuser in der Rapsstraße bilden ein romantisches Straßenbild, bleiben aber durch die umrahmenden Zeilenbauten Teil der großen Siedlung.
Die spannungsvolle Abfolge unterschiedlicher städtebaulicher Räume, die großzügigen Grünflächen und das Zusammenspiel der alten monumentalen Industriebauten mit den Wohngebieten sind die Qualität der Siemensstadt und definieren den Anspruch an die neue Planung.
Das neue Quartier soll nicht nur Lückenfüller im Stadtkörper sein, sondern städtebaulich und architektonisch vermitteln; zwischen den bestehenden Industriebauten auf dem Plangebiet, sowie den neuen und alten Wohnbauten. Hier hat auch die Gestaltung der Außenräume besondere Bedeutung. Die Areale der alten Werke sollten ebenfalls für Anwohner und Besucher, die nicht dort arbeiten, eine hohe Aufenthaltsqualität bieten. Die Freianlagen müssen zugänglich sein und einen Rahmen für die historischen Werksgebäude bilden, sodass ein attraktiver Campus entstehen kann. Parkplätze im Außenraum sollen vermieden werden.
Für das Zusammenspiel von Produktion, Gewerbe und Wohnen sind neue Konzepte mit vielfältigen Wohnformen zu erarbeiten, die sich unterschiedlich mit der Gewerbenutzung verzahnen. Es sollen keine reinen Gewerbegebiete oder eingezäunte Betriebsgelände geschaffen werden, die außerhalb der Arbeitszeiten zu unbelebten, tristen Orten werden. Die Symbiose von Arbeiten und Wohnen in der Siemensstadt soll im Entwurf als Potenzial des Ortes gedacht werden, der Raum für Kreativität und Kultur schafft und ein Zuhause ist, mit dem man sich identifizieren kann. Beispielhaft für ein gutes Zusammenspiel von Wohnen und produzierendem Gewerbe sind die typischen Gewerbehöfe in Kreuzberg. Den gelungenen Umgang mit Freianlagen mit Industriedenkmälern und Campusbildung zeigen beispielhaft der Zollverein-Park in Essen oder der Gleisdreieck-Park in Berlin.
Erste Auflistung von Defiziten und Wünschen im Rahmen der Arbeit der Planungswerkstatt “Neue Siemensstadt“ vom 16. April, 13. Mai und 11. Juni 2019
1. Anbindung und Einbindung
Siemensstadt wirkt wie eingezäunt! Es fehlt ein übergeordnetes Netzwerk von Wegen in benachbarte Ortsteile und in die Zentren von Spandau, Charlottenburg und Reinickendorf. Dies gilt trotz der U7 auch für den öffentlichen Personennahverkehr.
Eine Ertüchtigung der Siemensbahn in ihrer alten Form konkurriert mit den aktuellen Straßenbahnplänen und lässt die erfolgte Renaturierung außer Acht (geschützte Arten?).
Außerdem könnte so eine Barriere wieder entstehen, die nicht gewünscht ist.
Ein Aufständern der Bahn könnte eine Lösung sein.
Generell muss aber gelten: eine Doppelerschließung ist zu vermeiden!
Allein die U7 erschließt den Campus über die Bahnhöfe Rohrdamm und Paulsternstraße.
Insbesondere werden zusätzliche Räume und Flächen für Fussgänger und Radfahrer gewünscht – mit Anbindungen an andere Ortsteile. Im gesamten Bereich Haselhorst und Siemensstadt wird der Bedarf für eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur gesehen.
Der zu planende Siemens-Campus soll gegenüber den angrenzenden Ortsteilen geöffnet werden; Abgrenzungen sollen unterbleiben.
2. Öffentliche Freiflächen
Das Gelände der Siemensbahn ist als durchlässiger, öffentlicher Grünzug vorstellbar, der die grüne Verbindung von Siemensstadt und Haselhorst in Verlängerung des Grünzuges vom Volkspark Jungfernheide über den Wilhelm-von-Siemens-Park kreuzt.
Ergänzend ist eine grüne Verbindung von der Jungfernheide (nördlich des Hohenzollernkanals) bis zur Spree mitzudenken, die durchaus eine Bahnanbindung an die U2 (Bahnhof Ruhleben) beinhalten kann.
In diese Grünzüge wären barrierefreie und generationenübergreifende Spielplätze und Sportanlagen zu integrieren.
Die Aufenthaltsqualität – nicht nur in den Grünzügen – sollte durch zusätzliche Sitzgelegenheiten verbessert werden.
Der Wert der grünen Freiflächen auch als Kaltluftschneisen muss berücksichtigt werden.
3. Soziale Infrastruktur
Aufgrund der besonderen Lage benötigt die Siemensstadt “Außenstellen“ von Einrichtungen des Bezirks. Hierzu zählen:
• Kinder- und Jugendgesundheitsdienst
• Einrichtungen der medizinischen Versorgung
• Einrichtungen der psychosozialen Betreuung
• Volkshochschule
• Musikschule
Ferner wurden Bedarfe festgestellt für:
• Generationenübergreifende Treffpunkte
• Cafés (auch nicht kommerzieller Art)
• Jugendtreffs
• Größere öffentliche Räume zur gemeinsamen Nutzung
Bei der Planung des Siemens-Campus sollen erforderliche Schul- und Kitaplätze auch für die bestehende Anwohnerschaft Berücksichtigung finden.
4. Kulturelle Infrastruktur
Speziell im kulturellen Sektor werden folgende Bedarfe gesehen:
• Kino und/oder Mehrzwecksaal
• Stadtbücherei
• Schaffung von Diskursmöglichkeiten innerhalb der Bewohnerschaft (räumlich, technisch, personell)
• Förderung von Kunstprojekten im Ortsteil
Viele der vorgeschlagenen Orte, Räumlichkeiten und Nutzungen könnten in einem großen Stadtteilzentrum zusammengefasst werden, welches auch als Begegnungszone zur Integration einer neu entstehenden Bevölkerungsstruktur dienen könnte.
5. Versorgung
Die Ansiedlung von Kleingewerbe, Handwerkbetrieben und Nahversorgung mit Waren des täglichen Bedarfs wurde als besonders wichtig empfunden.